Wasserverband Mürzverband
Abwasser als erneuerbare Energiequelle
Die Kläranlage Kapfenberg als lokale Energiezelle
Ausgangssituation
Für das Gelingen einer Dekarbonisierung unserer Städte spielt der Wärmesektor eine wichtige Rolle, denn für das Heizen und die Warmwasserversorgung werden große Mengen an Energie benötigt, die heute vor allem aus fossilen Quellen stammen. Auf der Suche nach erneuerbaren Wärmequellen gerät in den letzten Jahren auch vermehrt das Abwasser in den Fokus, da es große Mengen an thermischer Energie enthält (warmes Abwasser aus Haushalten, Gewerbe und Industrie), die heute aber noch weitgehend ungenutzt sind. Die Europäische Union hat dieses Potenzial erkannt, und 2018 Abwasser aufgrund dessen Wärmeinhalts als erneuerbare Energiequelle anerkannt.
Die Gründe, warum dieses Potenzial in Österreich bisher noch nicht (in größerem Stil) gehoben wurde, liegen wohl unter anderem darin begründet, dass das Bewusstsein über diese Energiequelle außerhalb der Abwasserbranche bisher nur wenig ausgeprägt ist. Darüber hinaus war der Anreiz zu einer entsprechenden Nutzung im Bereich der Abwasserwirtschaft bisher auch nicht sehr groß, da auf vielen Kläranlagen aus der Verwertung des anfallenden Klär- bzw. Biogases genug Wärme für die Deckung des Eigenbedarfs verfügbar ist. Eine Nutzung der anfallenden Überschüsse außerhalb der abwassertechnischen Infrastruktur stellte mangels geeigneter Abnehmer sowie fehlender Infrastruktur in Form von Fernwärmeleitungsnetzen vielfach auch keine Option dar (der umliegende Gebäudebestand war ja in der Regel bereits (fossil) versorgt).
Auf der Kläranlage Kapfenberg stellt sich die bisherige Situation entsprechend dar. Die thermische Energie aus der Nutzung des vorhandenen Biogases in einem Blockheizkraftwerk (Strom- und Wärmebereitstellung) dient der Deckung des anlageninternen Bedarfs. Die Rückgewinnung der im Kläranlagenablauf verfügbaren Abwasserwärme war bisher keine realistische Option, da die auf der Anlage (vor allem im Sommer) anfallenden Wärmeüberschüsse mangels Fernwärmenetzanschluss nicht nur ungenutzt blieben, sondern teilweise sogar „vernichtet“ werden mussten. Gleichzeitig entsteht derzeit im unmittelbaren Nahbereich der Kläranlage ein neues Wohnquartier mit 220 Wohnungen (davon 64 als sanierter Altbestand) und einem entsprechenden Wärmebedarf. Die Stadtwerke Kapfenberg garantieren hierfür eine nachhaltige und CO2-freie Wärmelieferung.
Motivation
Aufgrund dieser Rahmenbedingungen, eine (neue) Wohnsiedlung mit Wärmebedarf und eine benachbarte Kläranlage mit Wärmeüberschuss, lag das Ziel des Forschungsprojektes schnell auf der Hand: Wie kann die auf der Kläranlage Kapfenberg verfügbare Wärme bestmöglich für die Deckung des anlageninternen Bedarfs sowie die externe Versorgung der Wohnanlage aktiviert und genutzt werden? Neben den technischen Komponenten spielte hierbei auch die Frage der Wirtschaftlichkeit eine zentrale Rolle. Um dabei Umsetzungslösungen zu entwickeln, die schlussendlich auch die bestmögliche Unterstützung der relevanten Stakeholder erfahren, war das Projektkonsortium zudem entsprechend interdisziplinär besetzt. Neben dem Wasserverband Mürzverband, den Stadtwerken Kapfenberg und der Baudirektion Kapfenberg als örtliche Akteure waren im Projekt auch die AEE INTEC sowie die Universität für Bodenkultur Wien (Institute für Siedlungswasserbau, Industriewasserwirtschaft und Gewässerschutz sowie für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung) unterstützt durch die Österreichische Energieagentur in begleitender und beratender Funktion involviert.
Innovation
Grundlage der Untersuchungen bildete ein vom Land Steiermark neu etabliertes Werkzeug der örtlichen Raumplanung, das Sachbereichskonzept Energie. In diesem Zusammenhang hat die Stadtgemeinde Kapfenberg einen potenziellen Standortraum für die Fernwärmeversorgung festgelegt. Davon ausgehend wurde nun mit dem Projekt der innovative Ansatz einer Wärmeauskopplung von der Kläranlage in ein neues Nahwärmenetz untersucht. Mit der Erschließung der bisher nicht genutzten Niedertemperaturquelle aus Abwasserwärme wird ein wesentlicher Beitrag zur Erhöhung struktureller Energieeffizienz geleistet, indem die Abwärme aus dem Ablauf der Kläranlage einer Nutzung zugeführt wird. Das neu erschlossene Niedertemperaturniveau reicht jedenfalls dazu aus, den kläranlageninternen (Niedertemperatur-)Wärmebedarf, der primär von der Temperierung des Klärschlammes im Bereich von 38 °C in den Faultürmen dominiert wird, zu decken und damit das bisher dafür verwendete hochexergetische Biogas für eine höherwertige Wärmeversorgung (Hochtemperatur) im Kläranlagenumfeld „freizuspielen“. Der zielgerichtete Einsatz von Nieder- und Hochtemperaturwärme auf Kläranlagen ist ein neuer Ansatz im Umgang mit der Ressource Wärme und stellt hier einen wichtigen Meilenstein in Sinne einer effizienten Energienutzung dar.
Aus Sicht der Kläranlage stellt dies einen radikalen Paradigmenwechsel dar, von der Ausrichtung auf eine möglichst hohe Eigenversorgung hin zu klimafreundlicher Energiebereitstellung im Kläranlagenumfeld. Mit den Erzeugungspotenzialen von Abwasserwärme und Biogas wird der Eigenbedarf in der Regel (weit) überschritten, sodass die Kläranlage als lokale Energie-/Wärmezelle anzusehen ist, mit der Sektorkopplung zwischen Gas-, Strom- und Wärmenetz real umgesetzt werden kann. Die Aktivierung der Wärme aus dem Abwasser und deren Kopplung mit der Fern-/Nahwärmeversorgung stellen vielversprechende Ansätze für die Transformation des lokalen Energiesystems dar, die mittels kommunaler Energieraumplanung in Abhängigkeit vom räumlichen Kontext eines Kläranlagenstandortes für substanzielle Beiträge zur Umsetzung der Energiewende genutzt werden können.
Umsetzung
Die Integration der Kläranlage Kapfenberg in die örtliche Wärmeversorgung erfolgt in zwei Phasen:
• In der ersten Phase erfolgte der Anschluss der Kläranlage an das zur Versorgung der Wohnsiedlung dienende Nahwärmenetz. Damit wird es möglich, die bei der Verwertung des Klär-/Biogases im Blockheizkraftwerk der Kläranlage anfallende Wärme auszuspeisen, wobei in dieser Phase nur der Verkauf der in den Sommermonaten Mai bis September anfallenden Überschusswärme vereinbart wurde. Die Investitionskosten (Fernwärmeverteiler mit Wärmetauscher, Einbindung in die Regelungstechnik) belaufen sich hier auf rund 46.000 EUR. Ausgehend von dem geschätzten Wärmebedarf bei Fertigstellung der Wohnanlage im Jahr 2022 wird damit gerechnet, dass im Betrachtungszeitraum schlussendlich rund 5.100 EUR an jährlichen Einnahmen für die Kläranlage lukriert werden können. Phase 1 wurde im Sommer 2020 umgesetzt, und die Kläranlage Kapfenberg damit erfolgreich in die örtliche Wärmeversorgung integriert.
• In der zweiten Phase wird die im Ablauf der Kläranlage verfügbare Abwasserwärme erschlossen, um den kläranlageninternen Bedarf zu decken und zusätzliches Klär-/Biogas für die externe Versorgung „freizuspielen“. Der Betrachtungszeitraum dieser Phase bezieht sich dabei auf die Wintermonate Oktober bis April. Die Investitionskosten (Anschaffung und Installation eines Abwasserwärmetauschers und einer Wärmepumpe, Anpassung des Faulturmwärmetauschers, Errichtung von benötigten Leitungen) betragen rund 143.000 EUR. Je nach angesetztem Wärmepreis können durch den Wärmeverkauf jährlich zusätzliche Einnahmen von etwa 19.600 EUR sowie unabhängig davon Erdgaseinsparungen in der Höhe von rund 17.000 EUR für die Kläranlage lukriert werden. Dem stehen allerdings zusätzliche Stromkosten für den Betrieb der Wärmepumpe in der Höhe von kalkulierten 26.000 EUR pro Jahr gegenüber. Für die Umsetzung von Phase 2 wurde vom Vorstand des Münzverbandes bereits ein Grundsatzbeschluss gefasst, sie soll in den Jahren 2021 bis 2022 realisiert werden.
Ergebnisse
Die durchgeführten Untersuchungen bestätigten die technische Machbarkeit des gewählten Umsetzungsszenarios (Phasen 1 und 2). Im Sommer kann dabei der gesamte aktuelle Wärmebedarf der Wohnsiedlung mit Wärme aus der Kläranlage gedeckt werden, im Winter noch immer zumindest 50 % davon. Wobei an dieser Stelle auch erwähnt werden soll, dass das Wärmepotenzial im Kläranlagenablauf derzeit noch bei Weitem nicht ausgeschöpft wird. Durch die Erschließung bisher ungenutzter Wärmepotenziale trägt die energetische Nutzung des Abwassers zu einer Energieeffizienzsteigerung bei. Der Zusammenschluss mit den Wärmenetzen der Städte eröffnet die Möglichkeit, dass die vorhandenen Energieträger exergetisch sinnvoll eingesetzt werden.
In Bezug auf die wirtschaftliche Machbarkeit erscheint das mit der Umsetzung der beiden Phasen verbundene finanzielle Risiko jedenfalls vertretbar, da sowohl die Wärmebereitstellung auf der Kläranlage als auch die -abnahme in der Wohnsiedlung als dauerhaft gegeben anzusehen ist, denn die Wärmeabnehmer sind gleichzeitig Abwasserproduzenten und liefern damit kontinuierlich „Ressourcennachschub“.
Aus Sicht des Klimaschutzes kann festgehalten werden, dass durch die geplante Aktivierung und gezieltere Nutzung der vorhandenen Wärme auf der Kläranlage pro Jahr über 37.000 Nm³ an fossilem Erdgas eingespart werden können, was einem CO2-Äquvalent von rund 100 t (inkl. Vorkette) entspricht. Wenn darüber hinaus die Wärmepumpe mit erneuerbarem (gegebenenfalls sogar direkt am Kläranlagenstandort) produziertem Ökostrom betrieben wird, entstehen zudem keine neuen Treibhausgasemissionen.
Schlussendlich ist es mit der gewählten Zusammensetzung des Projektkonsortiums gelungen, einen Planungsprozess zur Energiewende mit den relevanten Stakeholdern vor Ort unter Mitwirkung der beteiligten Forschungseinrichtungen zu gestalten, mit dem eine Verständigung auf konkrete Umsetzungsmaßnahmen erfolgt ist. Darüber hinaus wurde mit ausgewählten Maßnahmen des Akteursmanagements eine Initiative gesetzt, mit der Verständnis und Bewusstsein für das Vorhaben zur Abwasserenergienutzung als Baustein einer erneuerbaren lokalen Energieversorgung geschaffen werden kann.
Potenzial zur Replikation
Studien der Universität für Bodenkultur Wien zeigen, dass im Ablauf der rund 630 österreichischen Kläranlagen mit einer Ausbaugröße von mindestens 2.000 Einwohnerwerten ein Wärmepotenzial von rund 3.200 GWh pro Jahr vorhanden ist. Zudem verfügen etwa 160 dieser Kläranlagen über Faultürme und damit eine entsprechende Produktion von Klär-/Biogas mit einem resultierenden Wärmepotenzial von weiteren rund 231 GWh pro Jahr. Etwa 420 der erwähnten 630 Anlagen befinden sich in unmittelbarem Nahbereich bzw. sogar innerhalb von Siedlungsgebieten. Die daraus resultierenden kurzen Versorgungswege unterstützen die Einbindung in örtliche Energie-bzw. Wärmeversorgungskonzepte. Vergleichbare Untersuchungen mit dem Fokus auf die Länder Mitteleuropas (AT, CZ, DE (tlw.), HR, HU, IT (tlw.), PL, SI und SK) ergaben im Ablauf
von rund 6.900 Kläranlagen ein geschätztes Abwasserwärmepotenzial in der Höhe von etwa 38.500 GWh pro Jahr, sowie weitere rund 2.460 GWh (thermisch) pro Jahr aus der Verwertung des Biogases von knapp 900 Anlagen mit Faultürmen. Räumliche Analysen zeigten zudem, dass etwa 73 % der betrachteten Kläranlagen innerhalb oder zumindest im Nahbereich von Siedlungen liegen.
Die Nutzung der vorhandenen Wärme muss dabei nicht auf klassische Funktionen wie das Beheizen von Wohnungen oder Gewerbeeinrichtungen und die Warmwasserbereitstellung beschränkt sein. Auch in der Land-, Vieh- und Forstwirtschaft können mögliche Wärmeabnehmer gefunden werden (z. B. Beheizung von Gewächshäusern, Ställen, Aquakulturen, Trocknung von Heu, Kräutern und Hackschnitzeln). Derartige Nutzungen würden ebenfalls dazu beitragen, die lokale Wertschöpfung zu erhöhen, Importe zu reduzieren und auch Arbeitsplätze zu schaffen.
Abwasser fällt überall dort an, wo menschliche Aktivitäten stattfinden, Energie- bzw. Wärmekonsumenten sind dabei in der Regel gleichzeitig immer auch Abwasserproduzenten. Es stellt somit nicht nur eine erneuerbare sondern vor allem auch eine konstante, zuverlässige und zentral verfügbare Energie- bzw. Wärmequelle dar. Die Kläranlage als lokale Energiezelle kann somit auch in einem globalen Kontext einen Beitrag zu einer nachhaltigen Energieversorgung leisten.
Beteiligte Institutionen:
• Wasserverband Mürzverband – Betreiber der Kläranlage Kapfenberg und Wärmebereitsteller für die Stadtwerke Kapfenberg
• Stadtwerke Kapfenberg – Wärmeversorgung des Wohnprojekts „Riverside“ mit Überschusswärme der Kläranlage Kapfenberg
• Stadtbaudirektion Kapfenberg – Begleitung des partizipativen Prozesses mit den Bewohnern des Wohnprojekts „Riverside“
• AEE INTEC – technische Detailuntersuchungen und thermo-hydraulische Konzeption der Wärmeauskopplung
• Österreichische Energieagentur – Expertise in Abwasserwärmenutzung und Wärmetechnologie
• Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) – wissenschaftliche Begleitung der technisch-ökonomischen-ökologischen Bewertung